WANN MEDIKAMENTE NOTWENDIG SIND
- Die Verschreibung von Psychopharmaka (für Benzodiazepine und Hypnotika gibt es spezielle Regelungen, siehe weiter unten) sollte nur bei schweren Episoden psychischer Störungen nach den in der ICD-10 bzw. im DSM-V beschriebenen Kriterien in Betracht gezogen werden. Mehrere Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass Antidepressiva bei leichten und mittelgradigen Depressionen nicht wirksam sind. Sogar bei schweren Depressionen besteht der Verdacht, dass die (sowieso geringe) nachgewiesene Wirksamkeit von Antidepressiva nicht an dem Wirkstoff liegt sondern an Placebo-Wirkung, natürlichem Verlauf der Störung, usw. Das bedeutet, eine psychische Störung ist grundsätzlich immer psychotherapeutisch zu behandeln (von Anfang an oder nach Besserung einer schweren Episode)...
- Schwere Episoden psychischer Störungen (bei Depressionen, bipolare Störungen, Angststörungen, Schizophrenien, Persönlichkeitsstörungen und so weiter), die eine Medikation rechtfertigen können (bis eine Psychotherapie stattfinden kann), haben folgende Merkmale:
- Suizidgedanken oder Suizidimpulse
- Kognitive Störungen
- Wahngedanken
- Halluzinationen
- Psychomotorische Hemmung oder Unruhe
- Selbstverletzungen
- Aggressivität
- Akute Eigen- oder Fremdgefährdung
- Die Verschreibung von Psychopharmaka sollte nur für begrenzte Zeiträume (in der Regel 6 Monate-1 Jahr, bei Benzodiazepinen und andere Hypnotika 4-6 Wochen, siehe weiter unten) und nur in Verbindung mit der Verschreibung einer Psychotherapie erfolgen (auch in Fälle von Psychose) oder wenn bereits eine Psychotherapie von mindestens zehn Sitzungen erfolglos stattgefunden hat. Psychopharmaka wirken auf einige Symptome der Krankheit und nicht auf deren Ursache (wie Psychotherapie), und wenn sie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, können sie unerwünschte Wirkungen hervorrufen (sogar irreversibel, siehe unten), eine Verschlechterung der Störung verursachen oder zu einer chronischen Erkrankung führen. Ausnahmen von dieser Regel (nicht für Benzodiazepine und Hypnotika) können sich aufgrund struktureller Mängel oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Patienten ergeben, die ihn den Zugang zu einer Psychotherapie verhindern. Allerdings sind auch die oben genannten Ausnahmen als begrenzt bzw. zeitlich begrenzt zu betrachten, es sei denn, dass die Krankheitsgeschichte, der Wille und die kognitiven Fähigkeiten des Patienten eine Fortsetzung der pharmakologischen Therapie (nicht bei Benzodiazepinen und Hypnotika) auch über längere Zeiträume erfordern . Solche Ausnahmesituationen sind nur von Psychiatern festzulegen.
- Benzodiazepine und Hypnotika sollten nicht auf der Grundlage einer bestimmten Störung (Angstzustände, Depressionen, Schlaflosigkeit usw.) verschrieben werden, sondern nur, wenn bestimmte Marker vorliegen, die den Schweregrad anzeigen, wie z. B. akute Suizidimpulse, floride Psychosen, katatonische Zustände unterschiedlicher Art, akute Gefahr für den Patienten oder ihm nahestehende Personen. Die Verschreibung sollte nur für einen Zeitraum von maximal 4-6 Wochen erfolgen, danach sollte eine Reduktion eingeleitet werden, die zu einem Absetzen innerhalb von drei Wochen führt. Für den Fall, dass Benzodiazepine – aus Notwendigkeit oder Fahrlässigkeit des verschreibenden Arztes – über einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen eingenommen wurden, ist es notwendig, einen Ad-hoc-Plan zum therapeutischen Ausschleichen und Absetzen zu entwickeln.
- Verschreibung und Absetzen von Psychopharmaka sollte als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses verstanden werden, an welchem Arzt, Patient und alle an seinem Genesungsprozess beteiligten Fachkräfte (Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Krankenschwestern usw.) beteiligt sind. Der Patient muss in all seinen Äußerungen (Ideen, Zweifel, Wünsche, Meinungsänderungen usw.) zugehört und respektiert werden.
- Bei der Verschreibung von Psychopharmaka sollte der Patient (oder sein ges. Betreuer) eine Einverständniserklärung unterzeichnen, in der er erklärt, dass er über die Nebenwirkungen des ihm verschriebenen Medikaments (auch irreversible) aufgeklärt wurde, insbesondere: Entwicklung einer Abhängigkeit und Demenz bei Benzodiazepinen, PSSD (sexuelle Dysfunktion nach SSRI) bei SSRIs und SNRIs, Verschlechterung von Depressionen und Angststörungen – nach jahrelanger Einnahme – bei allen Antidepressiva, Dyskinesien und Verschlechterung von Psychosen – nach jahrelanger Einnahme – bei Antipsychotika, Schilddrüsen- und Nierenprobleme bei Lithium, Teratogenese bei schwangeren Frauen bei Valproat usw. In jedem Fall sollte sich der verschreibende Arzt dazu verpflichten, mit dem Patienten (oder seinem ges. Betreuer) mindestens 15 Minuten die möglichen kurz- und langfristigen Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Einnahme oder dem Absetzen des vorgeschlagenen Arzneimittels besprechen .
- Das Ausschleichen und Absetzen von Psychopharmaka, die länger als 4 Wochen eingenommen wurden, sollte über einen längeren Zeitraum, in der Regel nicht weniger als 3 Monate, erfolgen, um Entzugserscheinungen zu vermeiden, die ein Wiederauftreten der Krankheit vortäuschen könnten. Die Dosis kann am Anfang mit großzügigen Schritte reduziert werden, die letzten Schritte müssen vorsichtiger sein.
Indikationen und Kontraindikationen: siehe
"Psychische Störungen Therapie F0-F9"
Nebenwirkungen und Wechselwirkungen: siehe
"Neben- und Wechselwirkungen Psychopharmaka"