F40, F41 Angststörungen
THERAPIE DER WAHL: Psychotherapie UND ZWAR DIE KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE
(Medikamentöse Therapie finden Sie weiter unten)
Die verhaltenstherapeutische Exposition wird in mehreren Schritten durchgeführt. Zunächst erfolgt eine Vorbereitungsphase, in der die Therapeuten mit den Patientinnen bzw. Patienten die Durchführung der Expositionen und die einzelnen Übungsschritte vorbereiten (hier erfolgt auch eine sogenannte Angsthierarchie). Daran schließt sich die eigentliche Übungsphase an, in der zumeist nach einem gestuften Schema regelmäßige Konfrontationsübungen durchgeführt werden. Nach der Übungsphase folgt noch eine längere Phase der Festigung und Erfolgskontrolle, um die erreichten Ziele auch im Alltag ausreichend zu verankern.
Das Ziel der Expositionstherapie ist, dass die Patienten erfahren, dass ihre Anspannung bei der Konfrontation mit der angstbesetzten Situation nicht unendlich ansteigt, sondern dass es sich bei der Anspannung um eine physiologisch erschöpfbare Reaktion handelt, die im Übungsverlauf wieder nachlässt, ohne dass die angstbesetzte Situation dazu verlassen werden muss.
Durch die wiederholten Expositionen gegenüber der angstauslösenden Situation kommt es zu einer Habituation, so dass die Anspannung bzw. die Ängste im Verlauf immer weiter nachlassen können.
Beim graduierten Vorgehen, auch Graduierte Exposition genannt, werden die Expositionsübungen mit einer Situation, die in der Angsthierarchie als mittelschwer eingetuft wurde, begonnen.
Eine andere Möglichkeit der Expositionstherapie ist das sogenannte Flooding. Hierbei begibt sich der Patient während der Übung gleich in die maximal angstbesetzte Situation.
In der Durchführung der Expositionen unterscheidet man zwischen Expositionen in sensu, bei denen sich die Patienten ausschließlich gedanklich in die angstbesetzten Situationen begeben, und Expositionen in vivo, bei denen die Patienten in der realen Situation bzw. am realen Objekt üben.
Nachdem die Expositionen zunächst je nach Schweregrad der Erkrankung mit Unterstützung durch die jeweiligen Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten durchgeführt werden, erlernen die Patienten im weiteren Therapieverlauf, wie sie die Expositionen auch eigenständig ohne Begleitung des Therapeuten wirksam durchführen können.
Häufig ist es aber sinnvoll, zumindest ergänzend auch Expositionen als Gruppentherapie einzuplanen, da die Betroffenen durch den Kontakt zu anderen Betroffenen einen erheblichen Motivationsschub und ein stärkendes “Wir”-Gefühl erfahren können.
Entspannungsübungen können Druck abbauen
Bei einer Angststörung können neben einer Therapie auch Entspannungsübungen helfen, etwa Yoga oder Autogenes Training. Häufig verspüren Betroffene ein Vorgefühl. Um dem etwas entgegenzuhalten, kann es helfen, die Faust anzuspannen, sich zu besinnen und seine Energie in andere Bahnen zu lenken. Auch eine Achtsamkeitsübung kann den sich aufbauenden Druck lösen.
PHARMAKOLOGISCHE BEHANDLUNG VON ANGSTSTÖRUNGEN
Nur eine lange (mindestens 40 Sitzungen) kognitive Verhaltenspsychotherapie kann eine Angststörung (generalisiert, panisch, agoraphobisch, sozial usw.) für immer lösen.
Wenn der Patient nun an einer so schweren Angststörung leidet, dass er/sie nicht aus dem Bett aufstehen, Freude empfinden und am täglichen Leben teilnehmen kann, dass seine/ihre Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Suche nach einer Lösung für das Problem getrübt wird und dass er/sie nicht in der Lage ist, von einer Psychotherapie zu profitieren, dann sind Medikamente eine Therapiemöglichkeit. Was ist nun das beste Medikament? Alle Medikamente bei Angststörungen wirken über ähnliche Wege und sind gleich wirksam. Häufig bei dem Entscheidungsprozess spielt die wichtigste Rolle die Frage, welche Nebenwirkung man vermeiden will.
Bei Einnahme von Medikamenten besteht die Gefahr, dass die PatientInnen denken können, dass ein zufriedenes Leben von denen abhängt und nicht von sich selbst. Darüber hinaus haben Medikamente, selbst die modernsten, verschiedene, teilweise irreversible Nebenwirkungen und Entzugssymptome. In manchen Fällen können diese Nebenwirkungen, die auf das Medikament oder dessen Absetzen zurückzuführen sind, Monate oder Jahre anhalten (z.B. SSRI/SNRI-bedingte sexuelle Dysfunktion) und/oder eine Verschlechterung der Erkrankung vortäuschen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Antidepressiva bei Angststörungen nicht wirksam sind. Sogar bei gutem Ansprechen besteht der Verdacht, dass die (sowieso geringe) nachgewiesene Wirksamkeit von Antidepressiva nicht an dem Wirkstoff liegt sondern an Placebo-Wirkung, natürlichem Verlauf der Störung, usw.
WARNUNG: AUCH WENN PSYCHOPHARMAKA NOTWENDIG SIND, MÜSSEN ALLE ANSTRENGUNGEN AUF DIE STABILISIERUNG DES PATIENTEN ZIELEN, UM ES ZU ERMÖGLICHEN, EINE RESOLUTIVE KOGNITIVE VERHALTENSTHERAPIE ZU BEGINNEN.
FALL A: MEDIKAMENTE BEI BEDARF SIND AUSREICHEND
Der Patient leidet nur 1-2 Mal pro Woche unter „lähmenden“ Angstanfällen, unabhängig davon, ob sie mit bestimmten Situationen zusammenhängen oder nicht. Der Patient beschließt, bei Bedarf etwas zur Beruhigung einzunehmen, entweder vorher (er bemerkt die fortschreitende Zunahme seines psychovegetativen Zustands/ANSPANNUNG), während (wenn der Anfall sehr stark ist) oder danach (wenn der Anfall lange anhält).
Stufe I (Medikamente ohne Suchtpotential): bei Personen unter 65 Jahren PROMETHAZIN 25 mg bis zu 3-mal täglich oder CHLORPROTIXEN (QT-Zeit beachten, EKG erforderlich) 15 mg bis zu 3-mal täglich; bei Personen über 65 Jahren PIPAMPERON 20 mg bis zu 2-mal täglich.
Wenn der Patient nicht anspricht, wechseln Sie auf bis zu 2-mal täglich QUETIAPIN 12,5–25 mg.
Stufe II (Medikamente mit Suchtpotential, da Patient auf Stufe I nicht anspricht): TAVOR 0,5-1 mg bis zu 4-mal täglich oder gleichwertige Benzodiazepine wie Tavor ohne lange Halbwertszeit (Alprazolam etc.). Faustregel: Bei einem Patienten, der weniger als fünfmal im Monat Benzodiazepine einnimmt, besteht kein Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln.
FALL B: EINE GRUNDLEGENDE SCHUTZTHERAPIE IST ERFORDERLICH
Der Patient leidet täglich unter starken Angstanfällen.
STUFE 0: Versuchen Sie es mit einem Phytopharmakon (pflanzliches Präparat): Wenn die Anfälle („chronisch“ wie bei der generalisierten Angststörung oder akut wie bei einer Panikstörung) tagsüber auftreten, nehmen Sie morgens Lasea 80 mg, sonst Baldrian abends. Auch eine Kombination aus beiden Mitteln kann sinnvoll sein.
STUFE I, wenn pflanzliche Präparate nach 3-wöchiger Einnahme nicht helfen:
SSRIs mit ähnlichen Dosierungen wie bei Depressionen, z.B. Sertralin (bei 50 mg, nicht bei Magen-Darm-Beschwerden) oder Escitalopram (10 mg, auf 10-Zeit achten, EKG-Kontrollen notwendig) oder Fluoxetin (ab 20 mg, auf QT-Zeit und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln achten); Bei sexuell aktiven Patienten eher Medikamente einnehmen, die keine SSRIs oder SNRIs sind, wie Bupropion, Agomelatin, Moclobemid, Mirtazapin (bei ambivalenten Daten zu Trizyklika nicht als erste Wahl empfohlen) .
Schwere Angststörung mit Schlafstörungen--) Mirtazapin, versuchen Sie es zunächst NICHT IN KOMBINATION MIT den oben genannten Medikamenten, sonst IN KOMBINATION;
Mittelschwere Angststörung mit starken Schlafproblemen und/oder PatientInnen, diezur Gewichtszunahme neigen--) Agomelatin (Leberwerte beachten, notwendig Kontrollen);
Angststörung bei Patienten mit Leberproblemen ---) Milnacipran (SNRI, kontraindiziert, wenn der Patient Nierenprobleme hat);
STUFE II, d. h. schwere Angststörung, die auf das erste Antidepressivum nach 4 Wochen Therapie angesprochen hat (und auch nicht auf eine Psychotherapie)
Sprechen Patienten nach 4 Wochen nicht auf eine Monotherapie an, sollen zunächst Ursachen für diesen Verlauf evaluiert werden. Zu diesen Ursachen gehören insbesondere die Fehldiagnose, eine nicht ausreichende Mitarbeit der Patienten,eine nicht angemessene Dosis und ein zu niedriger Serumspiegel (TDM), somatische und psychische Komorbidität sowie eine ungünstige Komedikation.
Um eine potenziell wirksame Behandlung nicht grundlos abzubrechen und unnötige, mit erhöhten Nebenwirkungen und Kosten verbundene Therapieintensivierungen zu vermeiden, ist vor einer Änderung der Therapiestrategie die Prüfung möglicher behebbarer Ursachen des Nichtansprechens und damit der Ausschluss einer Pseudotherapieresistenz notwendig.
Werden diese behebbaren Ursachen ausgeschlossen,
1) Bei Schlafstörungen abends Mirtazapin zum ersten Antidepressivum hinzufügen;
2) Wenn keine Schlafstörungen vorliegen, setzen Sie das Medikament ab und beginnen Sie mit Venlafaxin bis zu hohen Dosen (SNRI, es ist eins der wenigsten Antidepressiva, bei denen es sinnvoll ist, dies zu tun, wenn bei niedrigeren Dosen keine Wirkung auftritt);
1) + 2) schwere Erkrankung, bei der SSRI oder Mirtazapin allein nicht ausreichen: hochdosiertes Venlafaxin + hochdosiertes Mirtazapin;
Bonus--) wenn der Patient zusätzlich narzisstische Züge und/oder generell Grübeleien am Tag oder Abend und/oder Schlafprobleme und/oder hohe psychische Anspannung und/oder Probleme bei der Regulierung seiner Emotionen hat---) Venlafaxin oder Sertralin (nicht Escitalopram oder Fluoxetin, da sie auch die QT-Zeit verlängern) + Quetiapin (Vorsicht, es kann die QT-Zeit verlängern, EKG-Überwachung erforderlich) oder Ariripipazol (fördert nicht den Schlaf wie Quetiapin, verursacht aber keine Gewichtszunahme): Beides sind atypische Antipsychotika;
STUFE III: Trotz der oben beschriebenen Interventionen bleibt die Störung bestehen:
Fügen Sie Pregabalin 25 bis 100 mg 2-3 mal täglich hinzu (Suchtpotenzial bei Suchtpatienten); oder
Setzen Sie alle anderen Medikamente ab und beginnen Sie die Therapie mit einem Trizyklikum wie Clomipramin in mittlerer/hoher Dosierung (nur bei gesunden Probanden unter 60 Jahren möglich) oder
Setzen Sie alle anderen Medikamente ab, warten Sie 2 Wochen (5, wenn Sie Fluoxetin eingenommen haben, es hat eine längere Halbwertszeit) und beginnen Sie mit Moclobemid (nicht kombinierbar mit anderen Psychopharmaka).
Bei Angststörungen wird nach einem positiven Ansprechen auf das Medikament die Einnahme über einen Zeitraum von 6 Monaten bis 1 Jahr empfohlen, auch wenn bereits zuvor eine Besserung erreicht wird. DANACH ABSETZEN! ANSONSTEN VERSCHLECHTERUNG DER ANGSTSTÖRUNG AUS PSYCHOLOGISCHEN UND PHYSIOLOGISCHEN GRÜNDEN MÖGLICH.
Quelle: modifiziert aus Benkert, Hippius, Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie 12.Auflage; klinische Erfahrung.