F32, F33 Depression
THERAPIE DER WAHL: PSYCHOTHERAPIE
(zusätzlich medikamentöse Therapie nur bei nicht Ansprechen auf Psychotherapie und bei schweren Episoden, siehe weiter unten)
Zur Behandlung der Depression kann ein breites Spektrum psychotherapeutischer Verfahren wirksam eingesetzt werden.
Kognitive Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie umfasst eine Reihe von Methoden, die darauf ausgelegt sind, dem Patienten zu helfen, unangebrachte Verhaltensweisen abzulegen (zum Beispiel Abhängigkeit und die Unfähigkeit, Frustration zu ertragen) und angebrachte Verhaltensweisen zu erlernen (Erfahrungen offen zu begegnen und verantwortungsbewusst zu handeln).
Verhaltenstherapie ist mit der kognitiven Therapie verwandt. Manchmal wird eine Kombination aus beiden, bekannt als kognitive Verhaltenstherapie, angewendet. Die theoretische Basis der Verhaltenstherapie ist die Lerntheorie, welche besagt, dass abnormales Verhalten auf falsch Gelerntem basiert.
Kognitive Therapie hilft Patienten, Verzerrungen im Denken zu identifizieren und zu verstehen, wie diese Verzerrungen zu Problemen in ihrem Leben führen. Zum Beispiel können Menschen in Extremen denken („Entweder bin ich ein Gewinner oder ein totaler Versager“). Die Prämisse ist, dass die Gefühle und das Verhalten von Personen davon bestimmt werden, wie sie Erfahrungen interpretieren. Durch die Identifizierung der grundlegenden Überzeugungen und Annahmen lernen Patienten, auf andere Weise über ihre Erfahrungen nachzudenken, die Symptome zu vermindern und eine Verbesserung des Verhaltens und der Gefühle zu erreichen.
Psychodynamische/ Tiefenpsychologische Psychotherapie
Die psychodynamische Psychotherapie betont, wie die Psychoanalyse, die Identifizierung unbewusster Muster in gegenwärtigen Gedanken, Gefühlen und Verhalten. Die Person sitzt jedoch normalerweise und liegt nicht auf der Couch und nimmt nur an ein bis drei Sitzungen pro Woche teil. Außerdem liegt der Schwerpunkt weniger auf der Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten.
Psychoanalyse
Psychoanalyse ist die älteste Form der Psychotherapie und wurde von Sigmund Freud in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Der Patient liegt typischerweise vier oder fünf Mal pro Woche auf einer Couch in der Praxis des Therapeuten und versucht zu erzählen, was ihm in den Sinn kommt – eine Methode, die freie Assoziation genannt wird. Der Fokus liegt hauptsächlich darauf, den Betroffenen verstehen zu helfen, wie sich vergangene Beziehungsmuster in der Gegenwart wiederholen. Die Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten ist der wichtigste Teil dieser Ausrichtung. Ein Verständnis davon, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst, hilft dem Patienten, neue und adaptive Wege zu finden, um in Beziehungen und im Arbeitsumfeld zurecht zu kommen.
Interpersonelle Therapie
Die interpersonelle Psychotherapie wurde ursprünglich als kurze psychologische Behandlung von Depressionen angesehen und ist dafür ausgelegt, die Qualität der Beziehungen der depressiven Person zu verbessern. Sie konzentriert sich auf das Folgende:
- Unbewältigte Trauer
- Konflikte, die zustande kommen, wenn Personen Rollen übernehmen müssen, die nicht ihren Erwartungen entsprechen (zum Beispiel, wenn eine Frau eine Beziehung aufnimmt in der Erwartung, Mutter und Hausfrau zu sein, und herausfindet, dass sie auch der Hauptgeldverdiener der Familie sein muss)
- Umstellungen in sozialen Rollen (zum Beispiel der Übergang vom Arbeitsleben in die Rente)
- Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit anderen.
Der Therapeut bringt dem Patienten bei, Aspekte seiner interpersonellen Beziehungen zu verbessern, wie zum Beispiel soziale Isolation zu überwinden und auf andere Personen anders als gewöhnlich zu reagieren.
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE DER DEPRESSION
(nur bei nicht Ansprechen auf Psychotherapie und bei schweren Episoden)
Bei Einnahme von Antidepressiva besteht die Gefahr, es zu glauben, dass ein zufriedenes Leben von denen abhängt und nicht von sich selbst. Darüber hinaus haben Antidepressiva, selbst die modernsten, verschiedene, teilweise irreversible Nebenwirkungen und Entzugssymptome. In manchen Fällen können diese Nebenwirkungen, die auf das Medikament oder dessen Absetzen zurückzuführen sind, Monate oder Jahre anhalten und/oder eine Verschlechterung der Erkrankung vortäuschen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Antidepressiva bei leichten und mittelgradigen Depressionen NICHT wirksam sind. Sogar bei schweren Depressionen (3 Hauptkriterien plus 5 Zusatzsymptome nach, siehe "Diagnose") besteht der Verdacht, dass die (sowieso geringe) nachgewiesene Wirksamkeit von Antidepressiva nicht an dem Wirkstoff liegt sondern an Placebo-Wirkung, natürlichem Verlauf der Störung, usw.
Wenn der Patient/die Patientin nun an einer so schweren Depression leidet, dass er/sie nicht aus dem Bett aufstehen, Freude empfinden und am täglichen Leben teilnehmen kann, dass seine/ihre Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Suche nach einer Lösung für das Problem getrübt wird und dass er/sie nicht in der Lage ist, von einer Psychotherapie zu profitieren, dann sind Antidepressiva eine Therapiemöglichkeit. Was ist nun das beste Antidepressivum? Alle Antidepressiva wirken über ähnliche Wege und sind gleich wirksam. Häufig bei dem Entscheidungsprozess spielt die wichtigste Rolle die Frage, welche Nebenwirkung man vermeiden will.
ERSTE STUFE:
---) Schwere Depression mit allen klassischen Symptomen ohne Schlafstörungen –) Sertralin (SSRI, kann Magen-Darm-Probleme verursachen) oder Escitalopram (das verträglichste SSRI, aber auf QT-Zeit achten, Kontroll-EKG erforderlich) oder Fluoxetin (SSRI, auf QT-Zeit und Wechselwirkung mit anderen Medikamenten achten); BEI DEN OBEN GENANNTEN MEDIKAMENTEN BESTEHT DIE GEFAHR EINER PSSD (SSRI/SNRI-bedingte sexuelle Dysfunktion)
----) Bei sexuell aktiven Patienten eher folgende Antidepressiva ansetzen: Bupropion, Agomelatin, Moclobemid, Mirtazapin (für weitere Eigenschaften dieser Medikamente siehe weiter unten) (für Trizyklika ambivalente Daten, nicht empfohlen als erste Wahl)
---) Schwere Depression mit Schlafstörungen--) Mirtazapin, zunächst NICHT IN KOMBINATION MIT den oben genannten Medikamenten, sonst IN KOMBINATION (Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme übliche Nebenwirkung!);
---) Mittelschwere Depression mit Schlafproblemen und/oder Patient, die zur Gewichtszunahme neigen--) Agomelatin (Leberwerte beachten, notwendig regelmäßige Kontrollen);
---) Mittelschwere/schwere Depression mit schwerwiegenden Problemen der Initiative, der Lebensenergie, des Handelns und/oder Angst vor sexuellen Störungen (bis zu 50 % bei SSRIs und SNRIs) und/oder mit Aufmerksamkeitsproblemen ---) Bupropion (kontraindiziert, wenn der Patient an Epilepsie leidet);
---) Schwere Depression + Leberprobleme ---) Milnacipran (SNRI, aber kontraindiziert, wenn der Patient Nierenprobleme hat);
---) Schwere Depression mit Somatisierung ohne Schlafprobleme ---) Duloxetin (SNRI, auf QT-Zeit und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten achten)
---) Depression mit Somatisierung und Schlafstörungen ---) Amitriptylin (trizyklisch, nicht bei älteren Personen oder bei organischen Erkrankungen)
---) Depression mit Alkoholabhängigkeit ---) Doxepin (trizyklisch, nicht bei älteren Personen oder bei organischen Erkrankungen)
ZWEITE STUFE
Sprechen Patienten nach 4 Wochen nicht auf eine Monotherapie an, sollen zunächst Ursachen für diesen Verlauf evaluiert werden. Zu diesen Ursachen gehören insbesondere die Fehldiagnose, eine nicht ausreichende Mitarbeit der Patienten, eine nicht angemessene Dosis und ein zu niedriger Serumspiegel (TDM), somatische und psychische Komorbidität sowie eine ungünstige Komedikation.
Um eine potenziell wirksame Behandlung nicht grundlos abzubrechen und unnötige, mit erhöhten Nebenwirkungen und Kosten verbundene Therapieintensivierungen zu vermeiden, ist vor einer Änderung der Therapiestrategie die Prüfung möglicher behebbarer Ursachen des Nichtansprechens und damit der Ausschluss einer Pseudotherapieresistenz notwendig
Werden diese behebbaren Ursachen ausgeschlossen, (das Folgende gilt nicht für Amitriptylin, Doxepin und Agomelatin, bei denen eine Kombination nicht möglich ist, da ein hohes Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen besteht: das erste Medikament muss zuerst abgesetzt werden)
1) Bei zusätzlichen Schlafstörungen, abends Mirtazapin zum ersten Antidepressivum hinzufügen;
2) Wenn keine Schlafstörungen vorliegen, setzen Sie das Medikament aus und beginnen Sie mit Venlafaxin bis zu hohen Dosen (SNRI, es ist eines der wenigen Antidepressiva, bei welchem es sinnvoll ist, dies zu tun, wenn bei niedrigeren Dosen keine positive Wirkung auftritt);
1) + 2) schwere Depression, bei der SSRIs oder Mirtazapin allein nicht ausreichen: hochdosiertes Venlafaxin + hochdosiertes Mirtazapin;
3) wenn der Patient Grübeleien am Tag oder Abend und/oder Schlafstörungen und/oder hohe psychische Anspannung und/oder Probleme bei der Regulierung Ihrer Emotionen hat---) Venlafaxin oder Sertralin (nicht Escitalopram oder Fluoxetin, da sie auch die QT-Zeit verlängern) + Quetiapin (modernes Antipsychotikum, Vorsicht, es kann die QT-Zeit verlängern, EKG-Überwachung erforderlich) oder Aripriprazol (modernes Antipsychotikum, fördert nicht den Schlaf wie Quetiapin, verursacht aber keine Gewichtszunahme)
4) Wenn wahnhafte Denkstörungen auftreten: Olanzapin oder Risperidon zu den bereits genannten Antidepressiva hinzufügen (bei Gewichtsproblemen besser
Aripiprazol oder Ziprasidon – achten Sie auf das QT-Zeit): es handelt sich allesamt um atypische Antipsychotika;
5) Wenn der Patient auch Suizidgedanken entwickelt oder lähmende oder katatonische Angstsymptome hat: 2-3-4 Wochen lang ein Benzodiazepin wie Lorazepam (Tavor) oder Diazepam zu den genannten Antidepressiva hinzufügen, aber diese dann so schnell wie möglich wieder reduzieren und dann absetzen; das Gleiche gilt für Lithiumsalze, deren Wirkung jedoch verzögerter einsetzt.
6) Wenn Sie auch manische Symptome haben (oder in der Vergangenheit: immer Nachfragen!): behandeln Sie die Störung als depressive Phase einer bipolaren Störung.
DRITTE STUFE
Trotz der oben beschriebenen Interventionen bleibt die Depression bestehen:
Setzen Sie alle anderen Medikamente ab und beginnen Sie die Therapie mit einem Trizyklikum wie Amitriptylin oder Clomipramin hochdosiert (nur bei gesunden Patienten unter 60 Jahren möglich) oder
setzen Sie alle anderen Medikamente ab, warten Sie 2 Wochen (5 Wochen, wenn Sie Fluoxetin eingenommen haben, sie hat eine längere Halbwertszeit) und beginnen Sie mit Moclobemid (nicht kombinierbar mit anderen Psychopharmaka).
VIERTE STUFE
Lithiumsalze hinzufügen;
Setzen Sie alle anderen Medikamente ab, warten Sie 2-5 Wochen und probieren Sie Tranylcypromin in hohen Dosen aus (achten Sie auf Wechselwirkungen und eine tyraminarme Ernährung).
Elektrokrampftherapie oder Ketaminderivate (nur in wenigen Therapiezentern in Deutschland).
Bei depressiven Störungen wird nach einer positiven Reaktion auf das Psychopharmakon eine Einnahme über einen Zeitraum von 6 Monaten bis 1 Jahr empfohlen, auch wenn die Besserung vor diesem Zeitraum erreicht wurde. DANACH REDUZIEREN UND INNERHALB VON 6-12 WOCHEN ABSETZEN.
ANHANG: SSRIs SIND NICHT ALLE GLEICH.
SSRIs sind nicht alle gleich, jedes hat seine eigenen Besonderheiten:
Citalopram und Escitalopram: zuverlässig, gut verträglich, können auch bei älteren Patienten verabreicht werden, sie können zu einer Verlängerung des QT-Zeit führen, deswegen EKG-Kontrolle wichtig (und deshalb sie nicht immer mit anderen Medikamenten kombinierbar sind). Therapeutische Dosierungen: Citalopram 10 mg, Escitalopram 5 mg.
Sertralin: genauso zuverlässig wie Citalopram und Escitalopram, aber bei normaler Dosierung keine QTc-Verlängerung; einziger Nachteil: vor allem am Anfang kann das Medikament zu Magen-Darm-Störungen führen. Ok bei älteren Menschen und bei Patienten mit Herzproblemen. Therapeutische Dosierung: 50 mg.
Paroxetin: veraltet, verlängert QT-Zeit, viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, da es den Abbauweg anderer Pharmaka durch Hemmung vom Cyp2D6 verhindert , stärkere anticholinerge Nebenwirkungen als andere SSRIs, daher weniger verträglich (vor allem im Alter). Im Vergleich zu anderen SSRI auch leichte sedierende Wirkung (kann vom Vorteil sein). Therapeutische Dosierung bei 20 mg.
Fluoxetin: zuverlässig, verlängert QT-Zeit, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten möglich, da es Cyp2D6 hemmt, gut verträglich, kann zu Gewichtsverlust führen, daher SSRI erster Wahl bei übergewichtigen oder bulimischen Patienten. Therapeutische Dosierung bei 20 mg.
Trotz dieser Unterschiede verhalten sich alle SSRI weitgehend gleich. Wenn also Eins von ihnen scheitert, macht es keinen Sinn, gegen ein anderes SSRI zu tauschen! Es ist auch sinnlos, die Dosis zu erhöhen, wenn die therapeutischen Dosen nicht wirken! Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man fügt dem SSRI ein weiteres kombinierbares Antidepressivum hinzu oder man wechselt die Klasse.
Persönlich – sei es eine Depression, eine Angststörung, eine Zwangsstörung oder eine andere mit SSRI behandelbare Erkrankung – wähle ich für besonders empfindliche Patienten (die im Allgemeinen dazu neigen, Nebenwirkungen von Medikamenten zu entwickeln) Escitalopram; für diejenigen, die zu Gewichtszunahme neigen, Fluoxetin; für diejenigen, die Herz-Kreislauf-Probleme haben oder bei denen ich erwarte, dass aufgrund der Schwere der Erkrankung später ein weiteres Medikament dazu kommt, Sertralin.
p.s. CAVE: Durch SSRIs (und SNRIs) verursachte sexuelle Störungen (30-50% der PatientInnen) können dauerhaft sein, also zu PSSD führen!
Quelle: modifiziert aus Benkert, Hippius, Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie 12.Auflage; klinische Erfahrung.