F31 Bipolare Störung


THERAPIE DER WAHL: MEDIKAMENTÖSE THERAPIE kombiniert mit PSYCHOTHERAPIE (VERHALTENSTHERAPIE)



MEDIKAMENTÖSE THERAPIE der akuten Episode (Phase A), die manisch 1) oder 2) depressiv oder gemischt 3) sein kann:


1) Behandlung einer manischen oder hypomanischen Episode:

· Beenden Sie jede antidepressiveTherapie
· Eine klassische (euphorische) Manie kann mit Lithium,  Valproat retard oder einigen Antipsychotika (Aripiprazol, Paliperidon -vorteilhaft bei Patienten mit Leberproblemen-, Quetiapin, Risperidon, Olanzapin, Haloperidol) behandelt werden. Vorteile von Antipsychotika sind die einfache Handhabung, Wirkgeschwindigkeit und bessere Verträglichkeit.
· Eine Manie mit aggressiven Tendenzen spricht besser auf Antipsychotika und/oder Valproat an.
· Schwere Manie (der Patient stellt eine Gefahr für sich selbst oder andere dar) spricht besser auf Kombinationen an: Antipsychotikum(a) + Lithium oder Antipsychotikum(a) + Valproat
· Carbamazepin ist eher als Medikament zweiter Wahl anzusehen
· Lamotrigin ist weder bei der Behandlung von Manien noch bei deren Vorbeugung wirksam

2) Behandlung einer akuten bipolaren Depression (d. h. der Patient hatte in der Vergangenheit bereits eine manische oder hypomanische Episode, es handelt sich also zweifellos um eine bipolare Depression).
SEHR WICHTIG: Wenn ein Patient mit einer Depression zu Ihnen kommt, prüfen Sie sorgfältig, ob er manische Symptome hat (hatte) und ob Sie es sich somit mit einem bipolaren und nicht mit einem unipolaren Patienten zu tun haben! Es ist wichtig für die Therapie! Siehe unten.

Erste Überlegungen:
· Die Gabe von Antidepressiva erhöht das Risiko einer Manie!
· Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Trizyklika (Amitriptylin, Clomipramin usw.) nicht nur das Risiko erhöhen, eine Manie auszulösen, sondern auch die Häufigkeit der Phasen, was möglicherweise zu einem schnellen Zyklus führt. Sie sollten ebenso vermieden werden sowie SNRIs wie Venlafaxin oder Duloxetin
· Depressionen, die im Rahmen einer bipolaren Störung entstanden sind, sprechen leider weniger auf Antidepressiva an als unipolare Depressionen!
· Treten bei einer bipolaren Störung (auch wenn der Patient sich zu diesem Zeitpunkt in einer depressiven Phase befindet) auf: Manie, Hypomanie, gemischte Zustände, erhöhte motorische Aktivität oder rapid Cycling, sollten Antidepressiva auf jeden Fall vermieden werden!
· Antidepressiva bei bipolarer Depression sollten NUR verabreicht werden, wenn auch folgende Medikamente BEREITS angesetzt sind:

a) ein Stimmungsstabilisator wie Lithium, Valproat oder
Lamotrigin oder 
b) ein atypisches Antipsychotikum

um das Risiko eines Übergangs in eine Manie zu minimieren!

· Tritt eine Manie oder Hypomanie auf, sollte die Gabe des Antidepressivums reduziert und abgesetzt werden, auch kurzfristig.


Leichte und mittelschwere Depression: Nur in Einzelfällen wird eine antidepressive medikamentöse Therapie empfohlen. Wirksame Interventionen sind vielmehr: Psychoedukation, Verhaltenstherapie, Selbsthilfegruppen.

Schwere Depression: Auf ein Antidepressivum können Sie nicht verzichten. Also:

Option 1: SSRI oder Bupropion + Lithium oder Lamotrigin (II. Wahl Valproat)
Bei sexuell aktiven Patienten empfehle ich Bupropion, SSRIs können PSSD verursachen

Lithium ist die erste Wahl, wenn der Patient Suizidgedanken hat und/oder dazu neigt, neben depressiven auch manische Phasen zu entwickeln. Voraussetzung dafür ist, dass der Patient die Therapie verantwortungsvoll und zuverlässig einnimmt (eine konstante Konzentration des Arzneimittels im Blut muss aufrechterhalten werden).

Lamotrigin ist die erste Wahl, wenn der Patient seit Jahren dazu neigt, nur Depressionen zu entwickeln. Auch wenn Suizidgedanken vorhanden sind, bleibt es die erste Wahl, wenn der Patient Angst vor den Nebenwirkungen von Lithium hat (in diesem Fall zusätzlich Benzodiazepine über 4-6 Wochen verabreichen). Lamotrigin ist im Allgemeinen weniger wirksam als Lithium. Lamotrigin NICHT mit dem SSRI Sertralin kombinieren!!! Entwicklung einer nekrotisierenden Dermatitis möglich!!!

SSRIs oder Bupropion sind in ihrer antidepressiven Wirkung gleichwertig.

Option 2: Antipsychotikum Quetiapin allein, wirkt stimmungsstabilisierend und antidepressiv, wirkt stark sedierend, sollte abends eingenommen werden, schnellere Wirkung als Lithium oder Lamotrigin. Erste Wahl bei instabilen Patienten oder solchen, die Angst vor den Nebenwirkungen von Lithium haben oder diese Variante bevorzugen oder wenn Option1 nicht gewirkt hat. Quetiapin kann nicht mit QT-verlängernden SSRIs wie Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin kombiniert werden. Vorsicht auch in Kombination mit Bupropion, EKG-Kontrolle erforderlich!!!


Option 3: SSRI oder Bupropion + ein Antipsychotikum wie Quetiapin/Olanzapin/Aripiprazol/Risperidon/Ziprasidon

Antipsychotika sind Medikamente der ersten Wahl, wenn der Patient nicht zuverlässig Lithium einnimmt, wenn eine Schnelle Response notwendig ist , wenn gleichzeitig Persönlichkeitsstörungen vorliegen.
Wann welches Antipsychotikum:
Olanzapin wenn schwere Symptome/Phasen und/oder begleitende Schlafstörungen überwiegen;
Risperidon wie Olanzapin, aber geringere Gewichtszunahme und geringere sedierende Wirkung;
Aripiprazol, wenn sich der Patient keine Gewichtszunahme oder sexuelle Störung wünscht (allerdings nimmt bei einem Drittel der Patienten die Unruhe zu), Ziprasidon das Gleiche (keine Sexual- oder Essstörungen, aber EKGs notwendig wegen Risiko einer QT-Verlängerung. Ziprasidon kann nicht mit QT-verlängernden SSRIs wie Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin kombiniert werden. Vorsicht auch in Kombination mit Bupropion, Kontroll-EKGs notwendig!!! ). Quetiapin, Aripiprazol und Ziprasidon sind nicht so stark wie Olanzapin und Risperidon.
IN DEN USA SEHR VERWENDETE KOMBINATION: FLUOXETIN + OLANZAPIN

3) Behandlung von gemischten Episoden und Rapid Cycling: wenn depressive Symptome vorherrschend sind, Lamotrigin oder Quetiapin, wenn manische Symptome vorherrschend sind, andere Antipsychotika oder Valproat. ANTIDEPRESSIVA KONTRAINDIZIERT!!!

Phase B: Erhaltungstherapie.

Nach der akuten Phase und Stabilisierung des Patienten wird empfohlen, das Medikament oder die Kombination, die diese Stabilisierung ermöglicht hat, 12 Monate lang einzunehmen.

Phase C: Prophylaxe von Rückfällen 

(d. h. nach Phase B, also nach 12 Monaten Beibehaltung des Medikaments, stellt sich die Frage, ob das Medikament zur Vermeidung von Rückfällen fortgesetzt werden soll oder nicht)


Es gibt Argumente, die für Phase C sprechen
- Das Rückfallrisiko ohne Medikamente erreicht 95 %
- Studien haben gezeigt, dass die Wirksamkeit der Medikamente nachlässt, wenn bereits mehrere Rückfälle, insbesondere mehrere manische Episoden, aufgetreten sind.

Argumente gegen Phase C
- Nach einer bipolaren Manie oder Depression kann es sein, dass die Person auch ohne Medikamente vier Jahre lang stabil bleibt (statistischer Durchschnitt)
- Viele Patienten setzen die Medikamente, die sie zur Prophylaxe eingenommen haben, ab: Aber das Absetzen der prophylaktischen Medikamente erhöht das Risiko von Rückfällen! 
 

Was ist dann zu tun?

- Wenn die erste Episode einer bipolaren Erkrankung sehr schwerwiegend war und/oder eine Gefahr für den Patienten selbst oder ihm nahestehende Personen darstellte ---) Phase C empfohlen
- Wenn die erste Episode einer bipolaren Erkrankung NICHT sehr schwerwiegend war und/oder eine Gefahr für den Patienten selbst oder die ihm nahestehenden Personen darstellte ---) Prophylaxe NICHT empfohlen. Beginnen Sie in diesem Fall erst nach einer ZWEITEN Episode mit der Prophylaxe

Medikamente zur Rückfallprophylaxe (Phase C)
Lithiumsalze mit verzögerter Freisetzung erster Wahl! Lithium hat auch eine suizidpräventive Wirkung (bipolare Patienten haben ein 10-15-fach höheres Risiko, ein Suizid zu begehen)

Valproat ist für Phase C nur in den Fällen indiziert, in denen es bereits in Phase A und Phase B angewendet wurde. Valproat birgt ein hohes teratogenes Risiko oder die Entwicklung von Missbildungen bei Kindern und sollte daher bei fruchtbaren Frauen, die eine Schwangerschaft planen oder schwanger sind, ABSOLUT VERMIEDEN werden (außer wenn sich andere Arzneimittel als unwirksam erwiesen haben)

Aripiprazol, Olanzapin und Quetiapin können nur bei Patienten verabreicht werden, die sie bereits in Phase A und B erhalten haben

Lamotrigin kann bei bipolaren Patienten verabreicht werden, die eher zu depressiven als zu manischen Episoden neigen, um zu verhindern, dass sie wieder in eine Depression verfallen. Auch hier ist Lamotrigin im Vergleich zu Lithium die erste Wahl, da es keine Nebenwirkungen hat. Lamotrigin schützt aber nicht vor manischen Rückfällen!

Wenn Lithium oder Valproat allein nicht helfen, können sie mit atypischen Antipsychotika kombiniert werden: zum Beispiel Quetiapin oder Olanzapin + Lithium oder Valproat.

Wann sollte Phase C beendet werden: möglichst nach 1-2 Jahren. Wir müssen immer die Vorteile (keine Nebenwirkungen von Medikamenten mehr) und Risiken (neue manische, depressive oder gemischte Episode) abwägen.

IMMER: PHARMAKOTHERAPIE MIT PSYCHOTHERAPIE IN ALLEN DREI PHASEN KOMBINIEREN!



Quelle: modifiziert aus Benkert, Hippius, Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie 12.Auflage; klinische Erfahrung.


PSYCHOTHERAPIE DER BIPOLARE STÖRUNG

 Als drei zentrale Wirkfaktoren einer Psychoedukation bei Patienten mit bipolaren Störungen zählen die Verbesserung der Compliance (regelmäßige Einnahme der Medikation), die Normalisierung des Lebensrhythmus und das frühzeitige Erkennen von Warnsignalen einer beginnenden manischen oder depressiven Phase.
Einen regelmäßigen Lebensrhythmus sollte der Betroffene anstreben, weil man davon ausgeht, dass insbesondere manische Phasen durch Verschiebungen des Tag-Nacht-Rhythmus ausgelöst werden können.
In der Therapie lernt der Patient mit seiner Krankheit umzugehen. Patienten können durch die Psychotherapie besser mit ihrem Alltag und besonders belastenden Erfahrungen zurecht kommen. Sie verbessern ihre zwischenmenschlichen Beziehungen und beugen aktiv Rückfällen vor. Patienten gewinnen an Selbstsicherheit und Zuverlässigkeit.
Es wird verarbeitet, welche Faktoren zur Entstehung der Störung beigetragen haben und welche Risikofaktoren bei Ihnen die Auslösung manischer oder depressiver Zustände begünstigen. Unterstützung kann dabei auch ein “Stimmungstagebuch” bieten. In ihm halten Sie fest, welche Stimmungen Sie durchleben und im Rückblick und der Zusammenschau findet man bestimmte Auslöser, Anzeichen und Warnsignale. Diese zu kennen, kann Ihnen helfen, aktiv neue Krankheitsepisoden zu verhindern. Man analysiert typische Denkmuster und Verhaltensweisen und bricht diese auf, bevor sie bei einem Betroffenen zu depressiven oder manischen Phasen führen. Man kann einen “Notfallplan” erarbeiten, an dem man sich in kritischen Situationen orientieren können, um neue Episoden zu vermeiden, zu mildern oder zu verzögern. In der kognitiven Verhaltenstherapie lernt man zudem, allgemeine psychische Fähigkeiten zu verbessern. Man kann mit Hilfe der Therapie lernen, Konflikte und Stress besser zu bewältigen,  Gefühle und Bedürfnisse besser zu kommunizieren und mit der Erkrankung offener umzugehen.