F00-F03 Demenzen


THERAPIE DER WAHL: PHARMAKOLOGISCHE + PSYCHOSOZIALE THERAPIE


PHARMAKOLOGISCHE THERAPIE

 Die pharmakologische Therapie der Demenz setzt sich zusammen aus der         
1) Behandlung der Kernsymptomatik der Demenz (u.a. kognitive Störungen, Beeinträchtigung der Alltagstätigkeiten) und, falls notwendig, einer
2) Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen (z.B. Depression, Wahn, Halluzinationen, Apathie).

1)  Behandlung der Kernsymptomatik 

Alzheimer-Demenz 

Die aktuell zugelassenen Medikamente mit Nachweis von Wirksamkeit zur Behandlung der Kernsymptomatik der Alzheimer-Demenz sind die Acetylcholinesterase-Hemmer und der nichtkompetitive NMDA-Antagonist Memantin. Diese Therapieansätze basieren auf Veränderungen der Neurotransmission. Einzelne berichtete Hinweise auf eine Beeinflussung der neuropathologischen Krankheitsprogression der Alzheimer Krankheit durch diese Medikamente sind nicht ausreichend, um den Medikamenten einen Effekt zuzusprechen, der über eine symptomatische Therapie hinausgeht.
 Die Zulassungsvoraussetzungen, die den heute verfügbaren Medikamenten zugrunde liegen, sind der Nachweis der Überlegenheit des Medikamentes gegenüber Placebo über einen Zeitraum von 24 Wochen in mindestens zwei unabhängigen Studien in den Bereichen der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Fähigkeit, Alltagsdinge durchzuführen ("activities of daily living", ADL) bzw. der Verbesserung des klinischen Gesamteindrucks. Für alle aktuell eingesetzten Acetylcholinesterase-Hemmer (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) wurden diese Zulassungsvoraussetzungen im Bereich der leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz erfüllt. Für den NMDA-Antagonist Memantin liegt die Zulassung für die moderate bis schwere Alzheimer-Demenz vor.

Donepezil: Zu Beginn der Behandlung sollte 1 Tablette Donepezil-HCl 5 mg/Tag abends, kurz vor dem Schlafengehen gegeben werden. Nach mindestens einmonatiger Behandlung sollte auf 1 Tablette Donepezil-HCl 10 mg/Tag erhöht werden. Die Höchstdosis beträgt 10 mg Donepezil-HCl/Tag.

Galantamin: Galantamin retard sollte 1-mal täglich morgens vorzugsweise mit dem Essen eingenommen werden. Die initiale Dosierung der retardierten Form beträgt 8 mg. Frühestens nach vier Wochen sollte die Steigerung auf 16 mg retard erfolgen. Nach weiteren vier Wochen sollte eine Steigerung auf 24 mg retard vorgenommen werden.

Rivastigmin: Die Einnahme von Rivastigmin in Kapselform erfolgt initial mit 1,5 mg 2-mal täglich zu den Mahlzeiten. Nach frühestens 14 Tagen sollte die Aufdosierung auf 3 mg morgens und abends erfolgen. Eine weitere Steigerung um jeweils 1,5 mg morgens und abends sollte jeweils frühestens nach weiteren 14 Tagen erfolgen. Wenn die Behandlung länger als einige Tage unterbrochen wurde, ist der Wiederbeginn mit täglich 2-mal 1,5 mg und anschließender Dosistitration notwendig. Rivastigmin in Pflasterform (THERAPIE DER WAHL!) wird mit einer Dosierung von 4,6 mg/24 Stunden begonnen. Nach mindestens 4-wöchiger Behandlung sollte auf die empfohlene wirksame Dosis von 9,5 mg/24 Stunden erhöht werden. Nach 6-monatiger Behandlung mit 9,5 mg/24 Stunden und klinischer Progression kann die Dosis auf 13,3 mg/24 Stunden erhöht werden. Die Pflasterapplikation zeigt im Vergleich zur oralen Applikation von Rivastigmin eine geringere Häufigkeit von gastrointestinalen Nebenwirkungen.

Es soll die höchste verträgliche Dosis angestrebt werden.  Gründe für das Absetzen bei einem Patienten können sich individuell aufgrund negativer Bewertungen des Verhältnisses von Nutzen zu Nebenwirkungen (Risiken), bei Komorbidität und notwendiger anderer Pharmakotherapie sowie aufgrund des Patientenwillens (z.B. Ablehnung von Tabletteneinnnahme) ergeben.  Acetylcholinesterase-Hemmer können bei guter Verträglichkeit im leichten bis mittleren Stadium fortlaufend gegeben werden. Auch bei Langzeitbehandlung und klinischer Progredienz ins mittlere bis schwere Krankheitsstadium ist ein Absetzen von Acetylcholinesterase-Hemmern mit einem Risiko für klinische Verschlechterung bei der Alzheimer-Demenz assoziiert. Ein Absetzversuch kann nur vorgenommen werden, wenn Zweifel an einem günstigen Verhältnis aus Nutzen zu Nebenwirkungen auftreten.  Wenn Zweifel an einem günstigen Verhältnis von Nutzen zu Nebenwirkungen eines Acetylcholinesterase-Hemmers auftreten, kann das Umsetzen auf einen anderen Acetylcholinesterase-Hemmer erwogen werden. 

 Vaskuläre Demenz 

Das Konzept der vaskulären Demenz umfasst alle zerebrovaskulär bedingten Schädigungen, die zu einer Demenz führen. Dazu gehören im Wesentlichen mikroangiopathische Läsionen und Makroinfarkte. Daraus ergibt sich, dass die Prävention von weiteren vaskulären Schädigungen ein wesentlicher Bestandteil der Therapie der vaskulären Demenz ist.  Die Behandlung relevanter vaskulärer Risikofaktoren und Grunderkrankungen, die zu weiteren vaskulären Schädigungen führen, ist bei der vaskulären Demenz zu empfehlen.  Es existiert keine zugelassene oder durch ausreichende Evidenz belegte medikamentöse symptomatische Therapie für vaskuläre Demenzformen, die einen regelhaften Einsatz rechtfertigen. Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Acetylcholinesterase-Hemmern und Memantin, insbesondere auf exekutive Funktionen bei Patienten mit subkortikaler vaskulärer Demenz. Im Einzelfall kann eine Therapie erwogen werden. 

 Gemischte Demenz

 Es gibt gute Gründe, eine gemischte Demenz als das gleichzeitige Vorliegen einer AlzheimerDemenz und einer vaskulären Demenz zu betrachten. Folglich ist es gerechtfertigt, Patienten mit einer gemischten Demenz entsprechend der Alzheimer-Demenz zu behandeln. 

 Frontotemporale Demenz 

  Es existiert keine überzeugende Evidenz zur Behandlung kognitiver Symptome oder Verhaltenssymptome bei Patienten mit frontotemporaler Demenz. Es kann keine Behandlungsempfehlung gegeben werden. 

 Demenz bei Morbus Parkinson 

 Die Parkinson-Demenz ist, ebenso wie die Alzheimer-Demenz, durch ein Defizit von Acetylcholin charakterisiert
 Rivastigmin (Kapseln) ist zur antidementiven Behandlung der Demenz bei M. Parkinson im leichten und mittleren Stadium wirksam im Hinblick auf kognitive Störung und Alltagsfunktion und sollte eingesetzt werden. Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Donepezil auf Kognition und klinischen Gesamteindruck bei der Demenz bei M. Parkinson. 

 Lewy-Körperchen-Demenz 

 Für die antidementive Behandlung der Lewy-Körperchen-Demenz existiert keine zugelassene oder ausreichend belegte Medikation. Es gibt Hinweise für eine Wirksamkeit von Rivastigmin auf Verhaltenssymptome und von Donepezil auf Kognition, den klinischen Gesamteindruck und Verhaltenssymptome. Es gibt ferner Hinweise für die Wirksamkeit von Memantin auf den klinischen Gesamteindruck und Verhaltenssymptome, nicht aber auf Kognition. Entsprechende Behandlungsversuche können erwogen werden. 

 

2) Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen (z.B. Depression, Wahn, Halluzinationen, Apathie). 


 Vor dem Einsatz von Psychopharmaka bei Verhaltenssymptomen soll ein psychopathologischer Befund erhoben werden. Die medizinischen, personen- und umgebungsbezogenen Bedingungsfaktoren müssen identifiziert und soweit möglich behandelt bzw. modifiziert werden. Darüber hinaus besteht eine Indikation für eine pharmakologische Intervention, wenn psychosoziale Interventionen nicht effektiv, nicht ausreichend oder nicht verfügbar sind. Bei Eigen- oder Fremdgefährdung, die nicht anders abwendbar ist, kann eine unmittelbare pharmakologische Intervention erforderlich sein.

 Global werden Verhaltenssymptome durch die Gabe von Galantamin und eventuell von Donepezil bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz positiv beeinflusst.
Bei mittelschwerer bis schwerer Demenz gibt es keinen Hinweis für einen positiven Effekt von Acetylcholinesterase-Hemmern auf Verhaltenssymptome.
-Memantin beeinflusst Verhaltenssymptome bei moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz mit geringer Effektstärke
 

 Pharmakologische Behandlung des Delirs Delirien stellen eine häufige und in vielen Fällen nicht erkannte Komplikation im Verlauf einer Demenz dar. Sie können hyperaktiv, hypoaktiv und in Mischformen auftreten. Da die Manifestation eines Delirs bei Demenzkranken mit einer ungünstigen Prognose assoziiert ist, z.B. in Bezug auf eine anhaltende Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit, sollten die vorhandenen Möglichkeiten einer Prävention bzw. Frühintervention eines Delirs ausgeschöpft werden  u.a. Vermeidung delirogener Medikamente, Sicherstellung ausreichender Flüssigkeitsaufnahme und Früherkennung von komorbiden Erkrankungen (z.B. Infektionen). Bei bestehendem Delir ist eine Behandlung des Auslösers erforderlich. Darüber hinaus ist ggf. eine symptomatische Behandlung des Delirs notwendig. Nach diagnostischer Abklärung kann ein Delir bei Demenz mit Antipsychotika behandelt werden (Erste Wahl: Risperidon, 0,5-1 mg bis 2x/Tag). Antipsychotika mit anticholinerger Nebenwirkung sollen vermieden werden. Die Gabe von Antipsychotika bei Patienten mit Demenz ist wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert. Es besteht wahrscheinlich ein differenzielles Risiko, wobei Haloperidol das höchste und Quetiapin das geringste Risiko hat. Es besteht ferner wahrscheinlich das Risiko für beschleunigte kognitive Verschlechterung durch die Gabe von Antipsychotika bei Demenz. Patienten und rechtliche Vertreter müssen über dieses Risiko aufgeklärt werden. Die Behandlung soll mit der geringstmöglichen Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum erfolgen. Der Behandlungsverlauf muss engmaschig kontrolliert werden. Für Patienten mit Parkinson-Demenz, Lewy-Körper-Demenz und verwandten Erkrankungen sind klassische und viele atypische Neuroleptika kontraindiziert, da sie ParkinsonSymptome verstärken und Somnolenzattacken auslösen können. Einsetzbare Neuroleptika bei diesen Erkrankungen sind Clozapin und mit geringerer Evidenz Quetiapin.
 


 Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit einer medikamentösen antidepressiven Therapie bei Patienten mit Demenz und Depression. Generelle Aspekte zum Einsatz von Antidepressiva bei Demenzerkrankten Demenzerkrankte sind sehr häufig sensibel gegenüber zentral-anticholinerg wirksamen Medikamenten. Daher sollen klassische, z.B. trizyklische Antidepressiva mit zentral-anticholinergem Effekt nicht gegeben werden. Sedierende Medikamente erhöhen die Sturzgefahr und können die kognitive Leistung bei Patienten mit Demenz verschlechtern. Bei allen Substanzen wird generell zunächst eine niedrigere Dosierung gewählt als bei jüngeren Patienten.

 Wenn zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten Antipsychotika erforderlich werden, dann sollte Risperidon bevorzugt werden.  Olanzapin soll aufgrund des anticholinergen Nebenwirkungsprofils und heterogener Datenlage bezüglich Wirksamkeit nicht zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten bei Patienten mit Demenz eingesetzt werden. Aripiprazol kann aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Agitation und Aggression als alternative Substanz empfohlen werden.  Es gibt Hinweise für die Wirksamkeit von Citalopram bei agitiertem Verhalten von Demenzkranken. Ein Behandlungsversuch kann erwogen werden. Bei leichteren Symptomen und Schlafstörungen sind Pipamperon und Melperon eine gute Alternativ.  Generelle Aspekte zum Einsatz von Benzodiazepinen bei Demenzerkrankten Benzodiazepine werden häufig bei älteren Menschen verordnet. Die Anwendung bei Menschen mit Demenz ist problematisch wegen der negativen Effekte auf die Kognition, der Erhöhung der Sturzgefahr, möglicher paradoxer Reaktionen und des Abhängigkeitspotenzials, welches bei plötzlichem Absetzen mit der Gefahr eines Delirs verbunden ist. In Ausnahmefällen kommen Einzeldosen kurzwirksamer Präparate in Betracht. Präparate mit langer Halbwertszeit sollen vermieden werden. Benzodiazepine sollen bei Patienten mit Demenz nur bei speziellen Indikationen kurzfristig eingesetzt werden. 


 Die günstige Wirkung von Risperidon auf psychotische Symptome bei Demenz ist belegt. Falls eine Behandlung mit Antipsychotika bei psychotischen Symptomen (Wahn, Halluzinationen) notwendig ist, wird eine Behandlung mit Risperidon (0,5-2 mg) empfohlen.


Quelle: modifiziert aus Benkert, Hippius, Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie 12.Auflage; klinische Erfahrung.


PSYCHOSOZIALE THERAPIE:

Kognitive Verfahren

Unter kognitiven Verfahren werden Interventionen verstanden, bei denen kognitive Funktionen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache etc.) aktiviert werden. Eine allgemeingültige Definition kognitiver Verfahren oder eine allgemeingültige scharfe Abgrenzung von Unterformen existiert nicht. Grob eingeteilt werden können diese Verfahren in:
(a) kognitives Training: Durchführung von Übungen kognitiver Funktionen
(b) kognitive Stimulation: Anregung kognitiver Tätigkeit, z.B. über Aktivierung von Altgedächtnisinhalten oder Einbindung in Konversation
(c) kognitive Rehabilitation: unterschiedliche Kombination aus (a) und (b)
(d) Realitätsorientierung: Förderung der Orientierung in Zeit und Raum durch Hinweise und Hilfen
(e) Reminiszenz/autobiographische Arbeit: Aktivierung von autobiographischen, insbesondere emotional positiv besetzten Altgedächtnisinhalten
Alle Verfahren werden einzeln oder in der Gruppe und durch einen Therapeuten oder trainierte Angehörige durchgeführt. Zielgrößen von Studien sind häufig die kognitive Leistung, Fähigkeit in Alltagsfunktionen und Verhaltenssymptome.

Ergotherapie

Die Ergotherapie ("Occupational Therapy") wird hier verstanden als Intervention zur Verbesserung und Stützung von Alltagsfunktionen und Handlungsfähigkeit mit dem Ziel der Verbesserung von Teilhabe und Lebensqualität im individuellen Alltag und Lebenskontext. Betätigungsorientierte Ergotherapie im häuslichen Umfeld mit Anwendung von Kompensationsstrategien für die Erkrankten mit leichter bis mittelschwerer Demenz und zur Erlernung von Bewältigungsstrategien für die Angehörigen zeigte in einem einfach-blinden unizentrischen RCT signifikante Wirksamkeit im Bereich von Alltagsfunktionen der Betroffenen

Körperliche Aktivität

Körperliche Aktivierung und leichtes körperliches Training zeigten in einem RCT bei 20 Demenzerkrankten mit Stürzen Wirkung in Bezug auf Beweglichkeit und Balance 338.

Künstlerische Therapien

Künstlerische Therapien (u.a. Musiktherapie, Kunsttherapie, Tanztherapie, Theatertherapie) nutzen in der therapeutischen Interaktion nonverbale und prozedurale Kommunikation, um mit künstlerischen Medien und Prozessen wahrnehmungs- und gestaltungsorientiert Fähigkeiten zu stärken und Ressourcen zu aktivieren. Die Stimulation visueller, auditiver und taktiler Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Konzentration und Orientierung soll über nonverbale und verbale Aktivität kommunikative und soziale Kompetenz fördern

Angehörigentraining

Um den Umgang mit den psychischen und Verhaltenssymptomen beim Erkrankten zu verbessern; das kann wiederum die Symptome bei dem Erkrankten lindern. Das sollte angeboten werden.