F00-F03 Demenzen
1) SYMPTOME
Demenz ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben. Die Sinne (Sinnesorgane, Wahrnehmung) funktionieren im für die Person üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen; gelegentlich treten diese Syndrome auch eher auf. Sie kommen bei Alzheimer-Krankheit, Gefäßerkrankungen des Gehirns und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen.
Allgemeine Demenzkriterien Kognitive oder verhaltensbezogene Symptome liegen vor, die 1. das Funktionieren bei Alltagsaktivitäten beeinträchtigen
2. eine Verschlechterung im Vergleich zu einem vorherigen Zustand darstellen
3. nicht durch ein Delir oder eine psychische Erkrankung erklärbar sind
4. Die kognitive Störung wird diagnostiziert durch die Kombination aus Eigen- und einer Fremdanamnese und objektiver Bewertung der kognitiven Leistung durch eine kognitive Testung oder eine klinischkognitive Untersuchung.
5. Es müssen mindestens zwei der folgenden Bereiche beeinträchtigt sein:
a. Gedächtnisfunktionen
b. Verstehen und Durchführung komplexer Aufgaben, Urteilsfähigkeit
c. Räumlich-visuelle Funktionen
d. Sprachfunktionen
e. Veränderungen im Verhalten ("Persönlichkeitsveränderungen")
Die Abgrenzung der Demenz zur leichten kognitiven Störung ("mild cognitive impairment", MCI) ist durch die Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen durch die kognitive oder Verhaltensstörung definiert.
Leichte kognitive Beeinträchtigung
Leichte kognitive Beeinträchtigung (LKB; auch Leichte kognitive Störung; engl.: Mild cognitive impairment, MCI) bezeichnet eine Beeinträchtigung der Denkleistung, die über das nach Alter und Bildung des Betroffenen Normale hinausgeht, jedoch im Alltag keine wesentliche Behinderung darstellt. LKB kann gelegentlich in eine beginnende Demenz münden, muss aber nicht. Es wird empfohlen, die Entwicklung der Gedächtnisstörungen in den nächsten 6 Monaten zu beobachten; keine Medikation ist zu empfehlen.
Demenz-Formen
Demenz ist ein Oberbegriff für mehr als 50 verschiedene Formen. Sie verlaufen sehr unterschiedlich und führen fast immer zum zunehmenden Verlust der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Die Ursachen für eine Demenz sind vielfältig. Die meisten haben hirnorganische Ursachen (primäre Demenz), welche bisher nicht heilbar sind. Die sekundäre Demenz kann z.B. durch neurologische Erkrankungen, chronische Traumatische Enzephalopathie, die Creutzfeld-Jakob Krankheit, Stoffwechselerkrankungen, Infektionen des Gehirns, Vergiftungserscheinungen durch Medikamentenmissbrauch, Vitaminmangelzustände oder Schädel-Hirn-Verletzungen ausgelöst werden und ist zum Teil heilbar.
Alzheimer ist die häufigste Form unter den primären Demenzformen, an der 60 – 65 % der Erkrankten leiden. Vaskuläre Demenz ist die zweithäufigste Form und tritt in 20 – 30 % der Fälle auf. Darüber hinaus existieren auch Mischformen zwischen Alzheimer und vaskuläre Demenz. Diese Mischformen machen etwa 15 % der Dementen aus. Zudem treten andere seltene Demenzformen wie frontotemporale Demenz oder Lewy Body Demenz in 5 – 15 % der Fälle auf.
Demenz bei Alzheimer-Krankheit
Die Alzheimer-Krankheit ist eine primär degenerative zerebrale Krankheit mit unbekannter Ätiologie und charakteristischen neuropathologischen und neurochemischen Merkmalen. Sie beginnt meist schleichend und entwickelt sich langsam aber stetig über einen Zeitraum von mehreren Jahren.
Diagnose wenn:
1. Allgemeine Demenzkriterien erfüllt
2. Langsamer Symptombeginn über Monate bis Jahre
3. Eindeutige anamnestische oder beobachtete kognitive Verschlechterung
4. Erste und deutliche Symptome sind a. anamnestische Variante (häufigste Form): Defizit der episodischen Gedächtnisfunktionen, zusätzlich sollte ein Defizit in einer weiteren der oben genannten Domänen bestehen b. non-anamnestische Varianten - sprachbezogene Variante - visuell-räumliche Variante - exekutive Variante
Diagnostische Hinweise für die Pathologie der Alzheimer-Krankheit durch mindestens eines der folgenden Kriterien:
a. Erniedrigtes Aß42 im Liquor und erhöhtes Tau-Protein bzw. phosphoryliertes Tau-Protein im Liquor
b. Positiver Amyloid-Nachweis mit PET
c. Mutation, die zu einer monogen vermittelten Alzheimer-Krankheit führt (Mutation auf den Genen Presenilin 1 oder Presenilin 2 oder auf dem Gen des Amyloid-Precursor-Proteins, APP)
Ausschlusskriterien:
1. Plötzlicher Beginn der Symptomatik
2. Frühe Gangstörungen oder frühe Krampfanfälle oder schwere frühe Verhaltensänderungen oder frühe extrapyramidalmotorische Zeichen oder frühe Halluzinationen
3. Fokale neurologische Zeichen
4. Fluktuation der kognitiven Störungen
5. Andere Erkrankungen, die die kognitiven Störungen erklären können
6. Substanzielle zerebrovaskuläre Erkrankung (Schlaganfall mit zeitlicher Verbindung zum Beginn der kognitiven Störung oder multiple oder große Infarkte oder schwere Veränderungen der weißen Substanz)
Vaskuläre Demenz
Der Begriff der vaskulären Demenz bezeichnet eine Demenz als Folge von vaskulär bedingter Schädigung des Gehirns. Unter diesem Begriff werden makro- wie mikrovaskuläre Erkrankungen zusammengefasst. Die vaskuläre Demenz ist das Ergebnis einer Infarzierung des Gehirns als Folge einer vaskulären Krankheit, einschließlich der zerebrovaskulären Hypertonie. Die Infarkte sind meist klein, kumulieren aber in ihrer Wirkung. Der Beginn liegt gewöhnlich im späteren Lebensalter.
F01.0 Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn: Diese entwickelt sich meist sehr schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen als Folge von zerebrovaskulärer Thrombose, Embolie oder Blutung. In seltenen Fällen kann eine einzige massive Infarzierung die Ursache sein.
F01.1 Multiinfarkt-Demenz: Sie beginnt allmählich, nach mehreren vorübergehenden ischämischen Episoden (TIA), die eine Anhäufung von Infarkten im Hirngewebe verursachen.
F01.2 Subkortikale vaskuläre Demenz: Hierzu zählen Fälle mit Hypertonie in der Anamnese und ischämischen Herden im Marklager der Hemisphären. Im Gegensatz zur Demenz bei Alzheimer-Krankheit, an die das klinische Bild erinnert, ist die Hirnrinde gewöhnlich intakt
Gemischte Demenz
Der Begriff der "gemischten Demenz" beschreibt die Kombination aus dem Vorliegen einer AlzheimerPathologie und weiterer pathologischer Veränderungen, die gemeinsam eine Demenz bedingen. Üblicherweise ist die Kombination aus Alzheimer-Pathologie und vaskulärer Pathologie damit gemeint. Neue Forschungskriterien fassen unter den Begriff aber auch die Kombination aus Alzheimer-Pathologie und Lewy-Körperchen-Pathologie.
Frontotemporale Demenz
In der ICD-10 wird der Terminus der Pick-Krankheit verwendet. Eine progrediente Demenz mit Beginn im mittleren Lebensalter, charakterisiert durch frühe, langsam fortschreitende Persönlichkeitsänderung und Verlust sozialer Fähigkeiten. Die Krankheit ist gefolgt von Beeinträchtigungen von Intellekt, Gedächtnis und Sprachfunktionen mit Apathie, Euphorie und gelegentlich auch extrapyramidalen Phänomenen
Drei der folgenden behavioralen/kognitiven Symptome (A-F) müssen vorliegen, um die Kriterien zu erfüllen. Deren Feststellung erfordert, dass die Symptome persistieren oder wiederkehren und nicht nur einmalig oder selten auftreten.
A. Frühe Verhaltensenthemmung [eines der folgenden Symptome (A.1.-A.3.) muss vorliegen] A. 1. Sozial unangemessenes Verhalten A. 2. Verlust von Umgangsformen oder Anstand A. 3. Impulsive, unüberlegte oder leichtsinnige Handlungen
B. Frühe Apathie oder Passivität [eines der folgenden Symptome (B.1.-B.2.) muss vorliegen] B. 1. Apathie B. 2. Passivität
C. Früher Verlust von Sympathie oder Empathie [eines der folgenden Symptome (C.1.-C.2.) muss vorliegen] C. 1. Vermindertes Eingehen auf die Bedürfnisse und Gefühle anderer Personen C. 2. Vermindertes Interesse an sozialen Kontakten und Beziehungen, Abnahme persönlicher Wärme
D. Frühes perseveratives, stereotypes oder zwanghaftes/ritualisiertes Verhalten [eines der folgenden Symptome (D.1.-D.3.) muss vorliegen] D. 1. Einfache repetitive Bewegungen D. 2. Komplexes, zwanghaftes oder ritualisiertes Verhalten D. 3. Sprachliche Stereotypien
E. Hyperoralität und Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten [eines der folgenden Symptome (E.1.- E.3.) muss vorliegen] E. 1. Veränderte Nahrungspräferenzen E. 2. Essattacken, gesteigerter Konsum von Alkohol oder Nikotin/Zigaretten E. 3. In den Mund nehmen oder Verzehren von nicht essbarem Material F. Neuropsychologisches Profil [alle der folgenden Symptome (F.1.-F.3.) müssen vorliegen]
F. 1. Defizit bei Aufgaben mit exekutiver Komponente F. 2. Relativ erhaltenes episodisches Gedächtnis F. 3. Relativ erhaltene visuell-räumliche Leistungen
Demenz bei Morbus Parkinson
Eine Demenz, die sich im Verlauf einer Parkinson-Krankheit entwickelt.
I. Kernmerkmale sind:
• Diagnose eines Morbus Parkinson (Rigor, Tremor und Akinese)
• Ein demenzielles Syndrom mit schleichendem Beginn und langsamer Progression, welches sich bei bestehender Diagnose eines Parkinson-Syndroms entwickelt und sich basierend auf Anamnese, der klinischen und psychischen Untersuchung wie folgt darstellt:
• Einschränkungen in mehr als einer kognitiven Domäne (s. unten)
• Abnahme der Kognition im Vergleich zum prämorbiden Niveau
• Die Defizite sind ausgeprägt genug, um zu Einschränkungen im täglichen Leben (sozial, beruflich
II. Assoziierte klinische Merkmale sind:
• Aufmerksamkeit: beeinträchtigt. Beeinträchtigungen der spontanen und fokussierten Aufmerksamkeit, schlechte Leistungen in Aufmerksamkeitsaufgaben; die Leistungen können im Tagesverlauf und von Tag zu Tag fluktuieren
• Exekutive Funktionen: beeinträchtigt. Beeinträchtigungen bei Aufgaben, die Initiierung, Planung, Konzeptbildung, Regellernen, kognitive Flexibilität (Set-Shifting und Set-Maintenance) erfordern; beeinträchtigte mentale Geschwindigkeit (Bradyphrenie)
• Visuell-räumliche Funktionen: beeinträchtigt. Beeinträchtigung bei Aufgaben, die räumliche Orientierung, Wahrnehmung oder Konstruktion verlangen
• Gedächtnis: beeinträchtigt. Beeinträchtigungen beim freien Abruf kürzlich stattgefundener Ereignisse oder beim Erlernen neuer Inhalte; das Erinnern gelingt besser nach Präsentation von Hinweisen, das Wiedererkennen ist meistens weniger beeinträchtigt als der freie Abruf
• Sprache: Die Kernfunktionen sind weitestgehend unbeeinträchtigt. Wortfindungsschwierigkeiten und Schwierigkeiten bei der Bildung komplexerer Sätze können vorliegen Verhaltensmerkmale:
• Apathie: verringerte Spontaneität, Verlust von Motivation, Interesse und Eigenleistung
• Persönlichkeitsveränderungen und Stimmungsänderungen einschl. depressiver Symptome und Angst
• Halluzinationen: vorwiegend visuell, üblicherweise komplexe, ausgestaltete Wahrnehmung von Personen, Tieren oder Objekten
• Wahn: meist paranoid gefärbt, wie z.B. hinsichtlich Untreue oder Anwesenheit unwillkommener Gäste
• Verstärkte Tagesmüdigkeit
Lewy-Körperchen-Demenz
I. Das zentrale Merkmal der LKD ist eine Demenz, die mit Funktionseinschränkungen im Alltag einhergeht. Die Gedächtnisfunktion ist beim Erkrankungsbeginn relativ gut erhalten. Aufmerksamkeitsstörungen, Beeinträchtigungen der exekutiven und visuoperzeptiven Funktionen sind häufig
II. Kernmerkmale sind:
• Fluktuation der Kognition, insbesondere der Aufmerksamkeit und Wachheit
• Wiederkehrende ausgestaltete visuelle Halluzinationen
• Parkinson-Symptome
III. Stark hinweisende Merkmale sind:
• Verhaltensstörungen im REM-Schlaf (Schreien, Sprechen, motorisches Ausagieren von Träumen)
• Ausgeprägte Neuroleptikaüberempfindlichkeit
• Verminderte dopaminerge Aktivität in den Basalganglien, dargestellt mit SPECT oder PET
Gegen LKD sprechen: • Zerebrovaskuläre Läsionen in der cCT oder cMRT oder fokal-neurologische Symptome • Andere Erkrankungen, die das klinische Bild zureichend erklären können • Spontane Parkinson-Symptome, die ausschließlich bei schwerer Demenz auftreten
Schweregradeinteilung:
Eine Demenz lässt sich in drei Schweregrade einteilen. Zur Orientierung kann der MMST (MiniMentalState-Test) eingesetzt werden, der in klinischen Studien als Kriterium für die Schweregraddefinition verwendet wird.
• MMST 20 bis 26 Punkte: leichte Alzheimer-Demenz
• MMST 10 bis 19 Punkte: moderate/mittelschwere Alzheimer-Demenz
• MMST weniger als 10 Punkte: schwere Alzheimer-Demenz