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Senden Sie uns Gedanken, Gefühle, Anmerkungen, Kritiken, Erfahrungen, usw., die Sie gerne mit der Community von Psychazon teilen möchten. Egal ob Sie Ärztin/Arzt, Therapeutin/Therapeut oder Patientin/Patient sind.


#1 Poem von einer Leserin

Frau D., die an einer Borderline Persönlichkeitsstörung leidet, hat nach einem Konflikt mit ihrem Partner dieses wunderschöne Poem geschrieben. Ihre seelische Schmerzen sind unglaublich gut zu spüren.


"Ich bin so wütend
Das Feuer brodelt in mir
Es zerreißt mich
Ich spür das Knallen
Ich spür den Schmerz der durch die Risse dringt
Ich kann nicht warten
Kann mich nicht beruhigen
Ich brauche dich
Ich habe Angst vor der Einsamkeit
Die jeden Menschen umgibt
Geburt und Tod beweist jeder ist allein
Der Rest ist nur Illusion
Oh Schmerz bitte lass nach
Lass deine Klinge erstumpfen
Lass dich ertränken
Lass dich betäuben
Bitte zieh vorbei
Der traurige Rest ist mein Leben"
 

#2 "Hat mein Sohn wirklich Autismus?"

 
"Ich wurde von einer Erzieherin angesprochen: hat mein Kind wirklich Autismus??"
Was autistische Kinder und Menschen am meisten charakterisiert sind Defizite in der  emotionalen Welt: diese Kinder können ihre Gefühle und die Gefühle anderer Menschen nicht verstehen, sind kalt im Kontakt, habe kein Empathievermögen, sind nicht in der Lage,  sich in andere Menschen hineinzuversetzen (sogenannte Mentalisierung), sie können nicht so gut abstrakt denken, "zwischen den Zeilen lesen". Nicht autistische Kinder können schon  mit 3 Jahren (oder ein bisschen später, jedes Kind ist unterschiedlich und wunderschön!) diverse Emotionen erkennen und äußern, Autisten sind damit überfordert, haben  eine Affektsregulationsstörung (vor allem in Stresssituationen) und äußern diese Überforderung mit Schreiattacken, Schlagen an die Wand, sich Beißen und andere Dysfunktionale Strategien. Außerdem zeigen die meisten Autisten (auch wenn Hollywood uns das Gegenteil gezeigt hat) eine Minderbegabung, eine unterentwickelte Sprache , repetitive Verhaltensweisen (z.B. 2 Stunden an die Wand starren, den ganzen Tag nur Quadrate zeichnen, alle Menschen im Zimmer riechen usw.). Autistische Kinder sind eher nicht autonom, per Definition ist Autismus eine TIEFGREIFENDE ENTWICKLUNGSSTÖRUNG, eine schwere Krankheit, die engmaschige Betreuung braucht. Die meisten Autisten  haben irgendeine Art von motorischen Schwierigkeiten, die von einem atypischen Gang bis hin zu Problemen mit der Handschrift reichen.

Jetzt haben Sie ein Kind, welches die Kita besucht. Ihr Kind ist ein bisschen schüchtern, spielt manchmal lieber alleine, kann noch nicht so gut sprechen oder zeichnen wie andere Kinder in seinem Alter,   braucht Unterstützung beim Anziehen, usw. Es hat dennoch andere Stärken, es ist sensibel, emotional, kuschelt gerne mit Ihnen, spielt gerne mit seiner Schwester oder seinem Bruder, liebt Zahlen. Sie werden irgendwann von einer Erzieherin aus der Kita eingeladen, sie bittet um ein Gespräch, sie vermutet einen Autismus bei ihrem Kind.  Sie empfiehlt sogar eine Diagnostik. Jetzt, machen sie sich keine Sorgen, Ihr Kind hat kein Autismus! Diese Erzieherin ist einfach inkompetent. Jedes Kind ist unterschiedlich, kann in einigen Bereichen (z.B. Selbständigkeit, soziale Interaktionen, Sprache, Motorik) "zurück" sein und in anderen (z.B. Empathie, Kreativität,  Zählen) "vorne" sein. Das ist vollkommen normal, Aufgabe eines Erziehers ist nicht zu bewerten, aus ein paar Schwächen eine Diagnose zu stellen, sondern das Kind zu akzeptieren, in seinen Stärken zu loben und in seinen Schwächen zu fördern. Was nun? Wechseln Sie die Kita! Damit ihr Kind wegen einer Fehleinschätzung  nicht als "besonderes" behandelt wird. Es muss wie die anderen Kinder gefördert werden und nicht einfach in Ruhe gelassen werden bei der falschen Grundannahme "er ist Autist, er braucht Ruhe". Außerdem spüren die Kinder sofort, wenn sie anders behandelt werden. Noch eine Gefahr besteht darin, dass Ihr Kind in der Kita  jetzt so "anders" behandelt wird, dass es am Ende wirklich seine Ruhe sucht (und dass verstärkt den Teufelskreis). Retten Sie Ihr Kind!

Dr.Saverio D‘Errico
Psychiater und Psychotherapeut


#3 Wie schwere psychiatrische Diagnosen entstehen können: der große Betrug

Im Jahr 2022 haben Ärztinnen und Ärzte bei 7,52 Millionen gesetzlich Versicherten ab 18 Jahren mindestens eine psychische Störung oder Verhaltensstörung nach jeweils zwei diagnosefreien Jahren neu diagnostiziert. Besonders häufig waren schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (29 Prozent), gefolgt von somatoformen Störungen (27 Prozent) und depressiven Episoden (18 Prozent).

 Das geht aus einer Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) hervor.

Aber ist es wirklich so? Wird unsere Gesellschaft in Deutschland immer kränker? Gucken wir jetzt zusammen, was beim ambulanten Behandler (Hausarzt, Psychiater, Nervenarzt, usw.) passiert und was im Krankenhaus. Ich kann mit meiner eigenen Erfahrung anfangen.

Situation beim Hausarzt

Im Juni 2024 bin ich zu einem Allgemeinmediziner gegangen (ich habe keinen Hausarzt, es war mein erster Arztbesuch seit 10 Jahren in Deutschland), ich fühlte mich schlapp seit ein paar Tagen, ich litt unter Schlafstörungen, hatte auch Rückenschmerzen, ich bat ihn um eine Krankschreibung. Einmal zuhause las ich die Diagnose auf der Krankschreibung: Depression! Aber ich hatte keine Depression! (ein Tag später war der Corona-Test positiv!). Um eine Depression zu diagnostizieren braucht man bestimmte Kriterien wie schlechte Stimmung, Antriebslosigkeit, Interessenverlust usw. seit mehr als 2 Wochen. Das war nicht der Fall. Als Psychiater und Mensch war ich sprachlos und sehr wütend, ich schickte dann gleich eine Mail an meine Krankenkasse, um von dieser Episode zu berichten. Als Psychiater konnte ich mich verteidigen, aber nicht alle sind in meiner Position.

 

Warum hat der Allgemeinmediziner bei mir eine Depression diagnostiziert? Die Antwort ist ganz einfach: um mehr Geld zu kriegen. Die ambulanten Ärzte verdienen mehr Geld, wenn sie mehr Leistungen bringen. Wenn er eine Depression diagnostiziert, kann er bestimmt auch weitere Leistungen kodieren wie Krisengespräch und so weiter. Das ist schrecklich und das hat negative Konsequenzen nicht nur für die ganze Gesellschaft (der Verband der gesetzlichen Krankenkassen teilt mit, dass dem Gesundheitssystem durch systematischen Abrechnungsbetrug und Korruption Einzelner jährlich Schäden in Milliardenhöhe entstehen) aber auch für die Einzelbetroffenen (wenn in der Patientenakte bestimmte Diagnosen auftauchen, gibt es Probleme, wenn man Berufsunfähigkeitsversicherungen abschließen will usw.).


Die wenigsten Patienten wissen, was in der Patientenakte ihres Behandler steht. Ärzte rechnen Leistungen ab, die gar nicht angezeigt waren. Wie etwa einen „Zuschlag für Behandlung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Krankheit“ oder „Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen“. Auch wenn der Patient gesund ist.

Der gesetzlich Versicherte sieht die Rechnung nicht und daher auch nicht, welche Leistung der Arzt abgerechnet hat.


Während der Arzt durch den Abrechnungsbetrug im Einzelfall ein bisschen mehr Geld zusätzlich erhält, kann es - wie gesagt- für die Patienten langfristige und teure Konsequenzen haben. Zum einem kann der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung erschwert werden, da das Risiko einer Berufsunfähigkeit durch zusätzliche Diagnosen höher gewertet wird. Zum anderen kann es passieren, dass Patienten, die schon Jahre versichert und auf den Berufsunfähigkeitsschutz angewiesen sind, die Leistungen verweigert werden. Die Begründung: Die Patienten hätten ihre Diagnosen nicht vollständig und richtig angegeben.

 

Einsicht in die Patientenakte kostenlos möglich

Wer sich vor falschen Diagnosen schützen will, kann die Abrechnungen der Ärzte kostenlos kontrollieren. Verbraucher haben das Recht, die Patientenakte einzusehen. Und noch mehr: man hat als Patient auch das Recht, eine Kopie der Patientenakte mit allen relevanten Informationen zu bekommen und das Ganze sogar kostenlos.

 

Was kann man noch tun:

Wer eine falsche Diagnose feststellt, sollte zunächst den Arzt bitten, die Patientenakte entsprechend zu korrigieren. Eine weitere Möglichkeit ist es, sich an die Krankenkasse oder den Spitzenverband der Krankenkasse zu wenden. Hilft das alles nicht, bleibt nur eine Strafanzeige gegen den Arzt.

 

Ist es besser im Krankenhaus?

Auf psychiatrischen Stationen ist die Situation noch schlimmer! Auch hier kann ich von meiner eigenen Erfahrung – aber diesmal als Psychiater – berichten. Wie Sie wissen, alle gesetzliche Krankenkassen in Deutschland werden von dem sogenannten Medizinischen Dienst vertreten. Der Medizinische Dienst ist der sozialmedizinische Beratungs- und Begutachtungsdienst für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Er überprüft praktisch, was im Krankenhaus passiert. Es werden Patientenakten von bestimmten im Krankenhaus behandelten Patienten angefordert und  es aus diesen Akten festgestellt, ob die Behandlung im Krankenhaus rechtfertigt/sinnvoll war oder nicht. Wenn nicht, informiert der Medizinische Dienst die Krankenkasse, welche der Klinik die Rechnung für die Behandlung nicht bezahlt.


Was passiert jetzt: um sicher zu sein, dass der MD und letztendlich die Krankenkasse für eine bestimmte Behandlung (zum Beispiel ein Patient, der wegen einer depressiven Symptomatik nach Verlust der Partnerin 3 Wochen auf einer Psychiatrie stationiert hatte) die Rechnung der Behandlung honoriert, stellen die Ärzte schwerere Diagnosen! In diesem konkreten Fall statt Anpassungsstörung, vergeben die Ärzte die Diagnose „Schwere depressive Episode“: das hat nicht nur negative psychologische Folgen für den Patienten (er fühlt sich kränker, als wie er ist: eine depressive Symptomatik nach Verlust des Partners ist vollkommen angemessen!) aber auch medizinische Folgen: eine schwere Depression wird anders behandelt als eine Anpassungsstörung, der Patient wird jetzt auch Medikamente bekommen – wie zum Beispiel Antidepressiva -, die er eigentlich nicht braucht! Und alle Antidepressiva sind komplett sinnlos bei Anpassungsstörungen und haben auch bestimmte Nebenwirkungen. Diese Nebenwirkungen (Schlaflosigkeit, Suizidgedanken, Appetitzunahme usw.) können jetzt als Verschlechterung der depressiven Symptomatik missinterpretiert werden mit einer erneuten Inanspruchnahme der psychiatrischen Versorgung, neuen, stärkeren Medikamenten, mit -wer weiß - auch Induktion einer bipolaren Störung durch die Antidepressiva  und so weiter,  der Patient bleibt eingesperrt in diesem perversen System.

Liebe Patienten, passen Sie bitte gut auf!

 

 

Dr.Saverio D‘Errico
Psychiater und Psychotherapeut


#4 Wie Psychopharmaka eine psychische Störung verschlechtern und chronifizieren können. 

1)Nebenwirkungen während der Einnahme

Psychopharmaka können zu zahlreichen Nebenwirkungen führen (auf das Herz, die Niere, die Leber, die Sexualität, den Stoffwechsel oder das Hormonsystem). Nach Absetzen der Medikation klingen diese Nebenwirkungen meist wieder ab, aber es ist nicht immer so (zum Beispiel bei sexuellen Störungen unter SSRI oder extrapyramidalen Störungen unter Neuroleptika, die auch irreversibel sein können!). Das führt zu einer Verschlechterung und Chronifizierung der Grunderkrankung.

2)Abhängigkeitsrisiko und Entzugssymptomatik

Das höchste Abhängigkeitsrisiko besteht bei Einnahme von Benzodiazepinen (z.B. Tavor) und deren Abkömmlingen (z.B. Zopiclon). Es gibt aber auch ein relevantes Abhängigkeitsrisiko bei Medikamenten gegen Depressionen (bei Allen, auch bei den neuen Antidepressiva wie SSRI, SNRI usw.). Das bedeutet, dass es beim Absetzen von Antidepressiva zu Entzugssymptomen kommen kann wodurch das Medikament nicht oder nur deutlich verzögert wieder abgesetzt werden kann. Das führt zu einer Verschlechterung und Chronifizierung der Grunderkrankung.


3)Eingeschränkte Wahrnehmung von Gefühlen unter Medikation

Unter einer Medikation mit Psychopharmaka (Antidepessiva, Neuroleptika, Stimmungsstabilisierer usw.) wird die Wahrnehmung von Gefühlen schlechter. Bei “negativen” bzw. “unerwünschten” Gefühlen könnte diese Wirkung noch akzeptabel sein, wobei auch negative Gefühle wie Wut und Traurigkeit sehr wichtig sind und uns etwas Wichtiges kommunizieren wollen. Antidepressiva können aber auch die positiven Gefühle wie Freude oder Lust reduzieren. Das führt zu einer Verschlechterung und Chronifizierung der Grunderkrankung.

4)Zielkonflikte zwischen Medikation und Psychotherapie

Psychopharmaka können den Erfolg einer Psychotherapie verhindern, der Patient kann dadurch nicht mehr lernen, mit seinen Problemen umzugehen. Er kann sich damit zufriedengeben, dass bestimmte negative Gefühle weniger spürbar sind, aber auf diese Weise kann er seinen richtigen Weg nicht mehr finden. Außerdem können Psychopharmaka den Patienten denken lassen, dass er alleine nicht schaffen kann, sein Leben neu zu gestalten. Das führt zu einer Verschlechterung und Chronifizierung der Grunderkrankung.


5) Erhöhtes Rückfallrisiko im Vergleich mit Patienten, die keine Psychopharmaka nehmen

Wenn Patienten mit einer Schizophrenie - meistens gegen ärztlichen Rat - nach rund einem Jahr ihre antipsychotischen Medikamente absetzen, nimmt ihre Erkrankung in den folgenden zwanzig Jahren - und damit ihr Leben - vermutlich einen deutlich besseren Verlauf, als wenn sie weiter die verordneten Neuroleptika erhalten. Das haben mehrere Studien gezeigt (siehe zum Beispiel „Chicago-Studie“).

Die Sichtung der bisher zu dieser Frage veröffentlichten Fachliteratur lässt erkennen, dass Dauer und Dosis einer Antipsychotikatherapie mit einer erkennbaren Volumenminderung an Hirnsubstanz und mit einer rezeptorischen Dysregulation in wichtigen Hirnbereichen in Beziehung stehen, damit gehen kognitive Fähigkeiten verloren (die Betroffenen zeigen in entsprechenden Tests eine schlechtere Orientierung, Defizite bei verbalen Aufgaben, Gefühlwahrnehmung, nachlassende Aufmerksamkeit und ein geringeres Abstraktionsvermögen) und steigt auch das Risiko, häufiger eine Wiedererkrankung zu erleiden.

Und bei Antidepressiva ist die Situation nicht besser! Omar Almohammed und sein Team unterschieden in einer Studie eine große Zahl von Patienten mit Depression in zwei Gruppen: Menschen, die infolge der Depression Antidepressiva verschrieben bekommen hatten und Menschen, die keine Antidepressiva verabreicht bekamen. Die Erkenntnis der Studie: Die 57 Prozent der Studienteilnehmer, die Antidepressiva erhielten, hatte keine stärkere Verbesserung ihrer Lebensqualität, als die 43 Prozent, die keine derartigen Medikamente erhielten. Es gab also keine statistisch signifikanten Unterschiede hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität – unabhängig davon, ob die Patientinnen und Patienten ein Antidepressivum eingenommen hatten. Pharmakologische Interventionen können die Depression verfestigen, sie verlangsamt abklingen lassen, die Rückfallgefahr vergrössern und behandlungsresistent machen:

„Führen wir die Behandlung länger als 6-9 Monate fort, können wir Prozesse auslösen, die den anfänglichen akuten Wirkungen von Antidepressiva entgegenwirken (Verlust klinischer Wirkungen). Möglicherweise lösen wir damit einen schlechteren und behandlungsresistenten Krankheitsverlauf aus, was zu Resistenz oder beschleunigten Rückfällen führen kann. Wenn die Medikamentöse Behandlung endet, können diese Prozesse unbehindert vonstattengehen und Entzugserscheinungen und eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Rückfällen mit sich bringen. Solche Prozesse sind nicht unbedingt reversibel. Je mehr wir Antidepressiva wechseln oder verstärkt einsetzen, desto wahrscheinlicher kommt es zu einer entgegengesetzten Toleranz“ (Fava & Offidani, 2011, S.1600). Das führt zu einer Verschlechterung und Chronifizierung der Grunderkrankung. 



Dr.Saverio D‘Errico
Psychiater und Psychotherapeut